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Bücher knacken

SBS-Interview

Buchknacker der ersten Stunde

Im Zug von der Bundeshauptstadt ins idyllische Toffen im Berner Mittelland sortiere ich meine Notizen. Gilles (18), Eric (20) und Luc (22) Bonnard haben sich Zeit für ein Interview genommen. Die drei Brüder sind Kunden der SBS. Die Online-Plattform Buchknacker, die sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche mit Dyslexie/Legasthenie richtet, wurde vor zehn Jahren ins Leben gerufen. Ebenso lange sind Eric und Luc bereits bei Buchknacker angemeldet. Gilles ist seit acht Jahren dabei. An diesem heissen Sommertag empfangen mich die Brüder im lauschigen Garten ihres Elternhauses. Sie stellen sich gleich selbst vor.

Luc, Eric und Gilles Bonnard
Luc, Eric und Gilles Bonnard

Gilles: Snowboardcross ist meine Leidenschaft. Im Sommer beginne ich eine Lehre als Schreiner EFZ (Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis). Gerade habe ich das EBA (Eidgenössisches Berufsattest) abgeschlossen. Ich kann mir vorstellen, auch künftig als Schreiner zu arbeiten.

Eric: Ich fahre Skicross. Im Sommer und im Herbst bin ich Ringer. Seit vielen Jahren spiele ich Klarinette, besuche noch das Gymnasium und hatte gestern eine mündliche Maturaprüfung. Mein Ziel ist es, Veterinärmedizin zu studieren.

Luc: Ich habe eine Lehre als Hochbauzeichner gemacht und anschliessend die gestalterische BMS (Berufsmaturitätsschule) abgeschlossen. Eben bin ich von einer sechsmonatigen Velotour nach Marokko zurückgekommen. Ich arbeite als Ski- und Snowboardlehrer und bin Leiter im Skiclub. Ausserdem spiele ich Fussball und trainiere Kickboxen. Aktuell arbeite ich bei meinem Vater als Spengler, bis ich im Sommer meinen Zivildienst in einer Sonderschule absolvieren werde. Ich würde gerne ein Studium in einem gestalterischen Bereich machen, um Grafiker oder Illustrator zu werden.

Ihr seid alle sehr sportlich. Wann sieht man euch an den Olympischen Spielen?

Luc: (lacht) Also Gilles wird man sehen.

Eric: (lacht) Wenn er nicht wieder kaputt geht.

Gilles: Ich habe mir vor eineinhalb Jahren den Oberarm, die Elle und die Speiche beim Snowboarden gebrochen.

Luc: Seit dieser Saison kann Gilles im Europacup fahren.

Gilles: Jetzt noch eine Saison und dann hoffe ich, dass es weiter geht.

Gilles Bonnard
Gilles Bonnard

Wie kam es dazu, dass ihr bereits kurz nach dem Start von Buchknacker angemeldet wart?

Luc: Unsere Mutter hat das Angebot gefunden. Sie hatte sich über Legasthenie informiert und sich erkundigt was es für Hilfsangebote gibt. Dabei ist sie auf Buchknacker gestossen. Ich habe nie Bücher gelesen, nur Comics. Ich wollte damals nie lesen, hatte aber immer ein grosses Interesse an Geschichten und Büchern. Irgendwann ist unsere Mutter dann mit dieser Alternative gekommen. So habe ich angefangen, die ersten Bücher wie «Harry Potter» oder «Der Herr der Ringe» zu hören. Ohne Buchknacker hätte ich diese Bücher niemals gelesen.

Haben euch auch Logopädinnen und Logopäden oder die Schule auf Buchknacker aufmerksam gemacht?

Eric: Es könnte sein. Ich weiss es aber nicht mehr sicher.

Was gefällt euch an Buchknacker?

Luc: Dass ich einfach Geschichten hören kann. Schon als kleines Kind habe ich gerne Geschichten erzählt bekommen, also schon immer gerne Geschichten gehört. Selbst lesen war halt mühsam. Bei Buchknacker kann ich ganz einfach suchen und die unterschiedlichsten Geschichten finden. Man hat immer sehr viele Bücher zur Auswahl, auch wenn es nicht immer alle gibt, die man gerne lesen würde.

Findet ihr die Auswahl an Büchern bei Buchknacker gut?

Eric: Ja, die Auswahl hat sich mit der Zeit auch erweitert und verändert.

Eric Bonnard
Eric Bonnard

Habt ihr euch schon Bücher von der SBS gewünscht? Als Kunden habt ihr ja die Möglichkeit, euch Bücher zu wünschen, die wir dann übertragen.

Eric: Ja, das habe ich schon gemacht.

Luc: Ich habe einmal eine Buchreihe gehört, mittelalterliche Geschichten, da waren die neuen Bücher immer schon auf dem Markt, aber auf Buchknacker noch nicht online verfügbar. Ich habe der SBS dann E-Mails geschrieben, dass ich die neuen Folgen gerne hören würde und jeweils die Antwort erhalten, dass das Buch gleich aufgesprochen wird.

Der Online-Player von Buchknacker markiert bei E-Books im Text immer das Wort, das gerade gesprochen wird. Ist das eine Hilfe beim Lesen?

Luc: Bei mir war das Problem, dass ich jeden Buchstaben einzeln gelesen habe. Wenn der Text gleichzeitig gesprochen wird, ist das Ganze dann zu schnell. Ich muss den Player sehr langsam einstellen, um mitlesen zu können. Aber grundsätzlich ist es eine Hilfe, wenn das Wort markiert ist.

Eric: Für mich ist dabei ein Problem: wenn ich beim Hören gleichzeitig mitlese und beim Lesen rausfalle, bekomme ich beim Hören grosse Mühe mitzukommen. Das ist dann eher verwirrend als zielführend und wird sehr anstrengend.

Auf welchen Geräten hört ihr Hörbücher?

Luc: Meistens auf dem Mobiltelefon.

Gilles: Ja, Ich auch.

Ist das praktisch in der Bedienung? Gibt es etwas, das besser sein könnte?

Eric: Spontan fällt mir nichts ein, das man besser machen könnte. Meistens funktioniert alles ohne Probleme.

Könnt ihr beschreiben, wie für euch ein Text aussieht?

Luc: Es ist schwierig zu erklären. Ich habe meine Abschlussarbeit für die Matura darüber gemacht. In meinem Projekt habe ich mit dem Buchstaben ›d‹ gearbeitet. Den kann man dreimal drehen, und er wird ein ›p‹, ein ›q‹ oder ein ›b‹. Es gibt also vier Buchstaben, die die gleiche Form haben. Als Kind habe ich diese Buchstaben beim Lesen vertauscht und zum Beispiel aus einem ›b‹ ein ›d‹ gemacht. Ich sehe die einzelnen Buchstaben, und nicht die ganzen Wörter. Wörter wie ›und‹ oder ›die‹ habe ich schon so oft gesehen, dass ich sie mittlerweile wiedererkenne und als Wort lesen kann. Aber bei Namen beispielsweise, die ich noch nie gesehen habe, muss ich jeden Buchstaben einzeln lesen. Beim Schreiben habe ich zum Beispiel auch den Buchstaben ›r‹ auf die falsche Seite schauend geschrieben oder auch Buchstaben einfach weggelassen. Da waren dann unterschiedliche Buchstaben querbeet durcheinander und haben gar keinen Sinn mehr ergeben.

Eric: Bei den meisten Wörtern funktioniert das Lesen bei mir unterdessen. Aber wenn es längere, wissenschaftliche Wörter sind, ist es schon schwierig, das Wort als solches zu sehen und nicht die einzelnen Buchstaben. Zusammengesetzte Wörter sind auch immer sehr mühsam.

Was passiert bei euch, wenn ihr beim Lesen Mühe habt? Ist das eine Blockade oder vielleicht eine Überforderung?

Luc: Eine Blockade trifft es vermutlich am besten. In der ersten Klasse hatte ich noch Freude daran, ein Buch zu lesen und Lesen zu lernen. Als ich gemerkt habe, dass ich mit dem Lesen mehr Schwierigkeiten als andere Menschen habe, einfach weil ich es halt nicht so schnell wie die anderen gelernt habe, habe ich die Lust am Lesen verloren. Ich habe immer wieder die Regeln angeschaut und alles mehrmals wiederholt und ich konnte es trotzdem nicht. So habe ich mit der Zeit eine Abneigung gegen das Lesen entwickelt. Es hat sich eine Blockade entwickelt. Dadurch ist das Lesen natürlich nicht einfacher geworden. Erst in der BMS hat sich das stark geändert. Dort haben wir die Texte anders angeschaut. Es ging um den Inhalt der Texte. Was der Text bedeutet, kann ich herausfinden. Wie man etwas schreibt, ist für mich das Problem. In der BMS hatte ich sogar im Französisch bessere Noten, obwohl vorher gar nichts gegangen ist. Da hat mir das Lernen wieder Spass gemacht, weil ich gemerkt habe, dass es tatsächlich funktionieren kann.

Ist es mit Legasthenie schwierig, Sprachen zu lernen?

Eric: Ja, es sind halt viele neue Wörter, die man erkennen und lernen muss. Die Buchstaben sind ja meist die gleichen, aber die Wörter sind neu. Für mich war das Problem immer, dass ich mich kaum motivieren konnte, weil ich nach zwei, drei Seiten Lesen zu müde war und nicht mehr konnte. Das war frustrierend und hat mich auch nicht dazu gebracht, mehr zu lesen, egal in welcher Sprache.

Mit Zahlen habt ihr keine Probleme?

Eric: Nein, nur bei Buchstaben.

Gilles: Ich hatte zuletzt in einer Matheprüfung eine sechs. Zahlen sind kein Problem.

Ist Buchknacker auch für die Schule hilfreich?

Eric: Ja, das war sehr hilfreich. Ich bin einfach viel zu langsam, wenn ich selbst lesen muss, und es ist dadurch auch sehr schnell ermüdend. Daher habe ich häufig auf die Hörbücher zurückgegriffen und so einfach gehört anstatt gelesen. Ich konnte mir vieles sogar besser merken, wenn ich nebenher noch etwas gemacht habe. Das war sehr gut.

Ich habe gelesen, dass Menschen mit Legasthenie häufig sehr kreativ sind und oft die Fähigkeit haben, das grosse Ganze, Zusammenhänge sehr gut zu erkennen, weil sie nicht zu sehr ins Detail gehen. Wie ist das bei euch?

Eric: Ich muss sagen, ich bin künstlerisch nicht so talentiert. Ich bin eher naturwissenschaftlich und mathematisch begabt.

Luc: Bei mir stimmt das recht gut. Ich bekam in der Schule und im Lehrbetrieb oft die Rückmeldung, dass ich sehr sozial sei, also eine hohe Sozialkompetenz habe, weil ich Zusammenhänge sehe. Ich kann sehr gut andere Menschen spüren und auf sie eingehen. Und kreativ bin ich auch.

Gilles: Als Schreiner habe ich halt meistens vorgegebene Pläne, an die ich mich halten muss. Ab und zu gibt es auch Möbel, die ich selbst gestalten kann. Da mache ich mir gerne sehr viele Gedanken darüber, was ich wie machen könnte.

Ist die Legasthenie bei euch genetisch bedingt?

Eric: Wahrscheinlich schon. Unser Vater hat auch Legasthenie.

Haben Menschen mit Legasthenie ein besseres Gedächtnis, weil sie viel auswendig lernen, um die Leseschwäche zu kompensieren?

Luc: Wenn ich ein Buch lese oder höre, kann ich mir die ganze Geschichte, alle Einzelheiten merken. Es ist eigentlich recht krass. Ich merke das oft. Ich muss eine Geschichte einmal hören und kann sie dann komplett wiedergeben. Ich habe das auch bei Prüfungen gemerkt. Wenn ich ein Buch gelesen oder gehört habe, kann ich eigentlich fast alles wiedergeben.

Luc Bonnard
Luc Bonnard

Ihr leiht nicht nur Romane aus. Ich habe gesehen, dass du, Eric, zuletzt auch wissenschaftliche Bücher ausgeliehen hast. War das für die Schule?

Eric: Ja, die meisten schon.

Ist Buchknacker also sogar für die Matura eine Hilfe?

Eric: Ja, schon.

Habt ihr ein Lieblingsbuch?

Luc: Also bei mir ist es «Harry Potter». Das ist einfach so Kindheit.

Eric: Mir kommt es nicht so darauf an, ich höre querbeet. Ich merke beim Hineinhören meist sehr schnell, ob mir ein Buch passt oder nicht.

Gilles: Meine Lieblingsbücher sind auch die mit Harry Potter. Ich höre sie jeden Abend vor dem Einschlafen.

Habt ihr auch die Harry-Potter-Filme gesehen?

Eric, Gilles und Luc: Ja, ja, aber nicht alle.

Luc: Ich finde, dass die Bücher besser sind als die Filme. Besonders gern habe ich auch eine Krimireihe, die ich nun als Älterer höre: «Bruno, Chef de Police» von Martin Walker. Darin geht es um einen Gendarmen in Frankreich, im Perigord. Die Themen sind sehr divers. Das Buch handelt von Politik, aber auch von seinen Kochkünsten. Es geht um das Leben auf dem Land, wo Bruno immer sehr spezielle kriminologische Fälle zu lösen hat. Mittlerweile gibt es, glaube ich, schon fünfzehn Bücher.

Luc, Eric und Gilles Bonnard
Luc, Eric und Gilles Bonnard

Würdet ihr Buchknacker weiterempfehlen?

Luc: Ja, ich finde das Angebot von Buchknacker sehr cool. Für mich als Kind war es wie eine Tür. Als ich ganz klein war, haben sich die Eltern noch Zeit genommen, mir am Abend aus einem Buch vorzulesen. Aber irgendwann war diese Zeit vorbei. Ich habe dann sehr viele Comics gelesen, weil da halt sehr viele Bilder waren und ich nicht viel Text lesen musste. Die Hörbücher von Buchknacker haben mir dann geholfen, dass ich Geschichten erleben und die Welt der Bücher kennen lernen konnte. Ich lese eigentlich sehr gerne, habe ich gemerkt. Es fällt mir einfach immer noch schwer, und deshalb ist die Motivation nicht immer einfach zu finden. Buchknacker hat meine Freude am Lesen geweckt. Auch die Kreativität, die in vielen Büchern zu spüren ist, wäre mir verschlossen geblieben ohne Buchknacker.

Vielen Dank!
Martin Orgler

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