Petra Ivanov
SBS-Interview
Petra Ivanov spricht über ihre Sehprobleme und ihre neue Thriller-Trilogie «KRYO».
Geschichten für alle
Die Autorin Petra Ivanov (57) traf ich im schönen Café des B2 Hotels in Zürich. Umgeben von 33'000 Büchern, unterhielten wir uns über ihre neue Thriller-Trilogie »KRYO«, darüber, was es heisst, in der Schweiz als Autorin zu arbeiten, und wie wichtig die SBS ist. Thema waren schliesslich auch ihre seit fünf Jahren bestehenden Sehprobleme.
Sie haben Ihre Kindheit in den USA verbracht, ist Englisch Ihre erste Sprache?
Petra Ivanov: Schweizerdeutsch war die erste, weil wir zuhause so sprachen. Ab dem Vorkindergarten war es Englisch. Hochdeutsch habe ich erst in der Schweiz gelernt.
Haben Sie Bücher auf Englisch geschrieben?
»Erster Funke« habe ich auf Englisch geschrieben und dann selbst ins Deutsche übersetzt.
Wann haben Sie das Schreiben für sich entdeckt?
Wahrscheinlich gleichzeitig mit dem Lesen. Ich habe mir schon immer Geschichten ausgedacht und sie manchmal auch aufgeschrieben.
War es ein Risiko, als Sie sich sagten, jetzt werde ich Schriftstellerin?
Jedes Sich-Selbstständig-Machen ist ein Risiko. Ich war alleinerziehend mit zwei Kindern. Ich konnte nicht sagen, jetzt schreibe ich nur noch. Mein erstes Buch schrieb ich in der Nacht, am Tag musste ich arbeiten. Erst als ich etwa einen Jahreslohn gespart hatte, kündigte ich meinen Job. Ich wusste, ich kann ein Jahr lang schreiben und wenn es nicht funktioniert, habe ich Zeit, um mir eine Stelle zu suchen.
Können Sie heute vom Schreiben leben?
Ich kann nicht alles machen, was ich will, aber ich hungere nicht. Wenn man hauptsächlich in der Schweiz verkauft, ist es extrem schwierig. Ich lebe teils vom Schreiben, teils von den Auftritten und teils von Auszeichnungen und Werkbeiträgen.
Warum haben Sie als erstes Krimis geschrieben?
Weil ich als Journalistin mit Themen zu tun hatte, die ich gerne vertieft hätte. Krimis eignen sich, da sie sich mit gesellschaftspolitischen und kritischen Themen befassen.
Sie verfassen auch Jugendbücher und haben unter dem Pseudonym Julia Parin zwei Liebesromane veröffentlicht. Was schreiben Sie am liebsten?
Ich habe gerne Abwechslung. Ich finde Krimischreiben am einfachsten, weil Krimis in meiner Welt spielen. Jugendromane tun das nicht. Da muss ich sehr viel fragen. Bei Liebesromanen finde ich es schwierig, den Spannungsbogen zu halten.
Waren Ihre Kinder die ersten Kritiker Ihrer Jugendbücher?
Nein (lacht). Die haben sie nicht gelesen. Sie lesen lieber Sachbücher.
Sie veröffentlichen viel, schreiben Sie eher schnell?
Ich gebe zwar viele Bücher heraus, aber ich schreibe sehr langsam. Ich mache einfach nichts anderes. Ich schreibe sieben Tage pro Woche, aber in der Regel nur eine Seite pro Tag. Mehr kann ich nicht. Ich suche die Wörter. Ich fühle mich im Deutschen immer noch nicht so zuhause, wie ich mich im Englischen fühlen würde, wenn ich drangeblieben wäre. Auf Schweizerdeutsch könnte ich schneller schreiben.
Man kann nicht alles eins zu eins vom Schweizerdeutschen ins Hochdeutsche übersetzen.
Sehr vieles nicht. Es ist erstaunlich, wie viele Präpositionen zum Beispiel anders sind: in Teilzeit, auf der Arbeit. Mir ist oft gar nicht bewusst, dass etwas ein Schweizer Sprachbild ist, bis meine Lektorin fragt: Was heisst das? Ich habe es nicht im Gefühl, ob es drücken oder drucken heisst, nützen oder nutzen.
Interessant, dass Sie mit der Sprache kämpfen, aber trotzdem Bücher schreiben.
Ich habe halt die Geschichte im Kopf. Ich möchte sie zu Papier bringen, auch wenn es schwierig ist.
Warum haben Sie ein Pseudonym gewählt für Ihre Liebesromane?
Weil man meinen Namen mit Krimis in Verbindung bringt. Wenn ich plötzlich einen Liebesroman schreibe und die Leute einen Krimi erwarten, sind sie enttäuscht. Und wer nicht gerne Krimis liest, würde meinen Liebesroman nie kaufen.
Mussten Sie für die Liebesromane eine andere Sprache finden?
Ja, genau, eine andere Sprache, andere Sprachbilder. Bei einem Liebesroman muss ich Dinge genauer beschreiben, da ich sogenannte »Wölkchenromane« schreibe, die gewissen Mustern folgen. Die Augen einer Figur dürfen zum Beispiel nicht einfach »braun« sein, sondern »schokoladenbraun« oder »haselnussbraun«. Die Leserinnen und Leser wollen genau wissen, was jemand trägt, wie eine Wohnung aussieht. Die Herausforderung ist, genregerecht zu schreiben. Dabei ist kein Genre schwieriger als das andere und auch nicht wertvoller. Geschmäcker sind nun mal verschieden. Hauptsache, die Menschen lesen gerne und man bringt ihnen Geschichten näher.
Wird Ihnen vorgehalten, dass Sie nur Krimis schreiben?
Ja, bei Literaten haben Krimis ein schlechtes Image. Ich finde das schade. In Zürich ist das zum Beispiel auch Thema bei der Kulturförderung. Gemäss neuem Kulturleitbild sollen nicht mehr nur literarische Werke unterstützt werden. Das ist ein wichtiger Schritt, weil die Menschen immer weniger lesen.
Lesen Sie viel?
Ich lese sehr viel. Ich lese Jugendbücher, ich lese Science-Fiction, ich lese Fantasy, Biografien, Sachbücher, Krimis, Romane.
Wie sind Sie auf das Thema Ihres Thrillers »KRYO« gekommen?
Ich habe meinen Sohn gefragt, was er spannend finden würde, was gerade aktuell sei. Er hat gefunden, ihn würde alles rund um Künstliche Intelligenz bis hin zur Optimierung des Menschen interessieren, also Kryonik im weitesten Sinn.
Haben Sie Angst vor neuen Technologien, vor einer Entmenschlichung?
Ich sehe das als sehr grosses Problem für die Menschheit. Ich finde, wir gehen unheimliche Risiken ein. Wir geben die Macht ein paar wenigen Leuten, die Geld oder Wissen haben. Ganz wenige kommen da noch mit. Seit ich aus »KRYO« vorlese, werde ich immer wieder gefragt, ob es einzelne Aspekte aus dem Buch wirklich gibt. Ja, es entspricht alles der Realität. Viele Leute haben noch nie von Kryonik gehört und sind völlig überrascht: Was, das wird tatsächlich gemacht, das ist nicht Science-Fiction?
Recherchieren Sie lange?
Für »KRYO« war das relativ einfach, weil sehr theoretisches Wissen dahintersteckt und in Wissenschaftsjournalen viel darüber geschrieben wurde. Viel schwieriger finde ich Nicht-Sachthemen. Geschichten, die heute in der Schweiz passieren und über die keine wissenschaftlichen Artikel erscheinen. Da bin ich monatelang am Recherchieren.
Ist es Ihnen wichtig, dass alles korrekt ist?
Es ist nie alles korrekt, das schaffe ich nicht. Ich schreibe über Themen, bei denen ich den Anspruch habe, dass die Inhalte stimmen. Denn wenn man Fehler entdeckt, verliert die Geschichte ihre Glaubwürdigkeit.
Für den kleinen Schweizer Markt ist »KRYO« sehr erfolgreich.
Ich habe das Glück, dass ich eine sehr stabile Fan-Gemeinde habe. Sie ist mir treu und sie folgt mir auch ins Unbekannte.
Sind Sie stolz auf diesen Erfolg?
Ich bin stolz, muss es mir aber immer wieder sagen. Ich sehe häufig nur die Misserfolge. Schade, eigentlich. Denn ich darf meinem Traumberuf nachgehen. Es reicht mir zum Leben. Ich kann meine Themen wählen, kann arbeiten, wie ich will. Und es gibt Menschen, die meine Geschichten lesen. Das ist eigentlich das Schönste.
Worauf können wir uns im dritten Teil von »KRYO« freuen?
Es gibt etwas mehr Action. Es kommt alles zusammen, und es wird eine totale Überraschung geben. In jedem Buch gibt es einen Fall, der abgeschlossen ist. Im ersten war es der Tod des vierjährigen Buben. Im zweiten der Tod von Bogdan Radu. Ich habe jedoch nicht realisiert, dass einer der Fälle gar nicht abgeschlossen war. Das hat mich beim Schreiben des dritten Bandes überrascht.
Ist noch etwas offen geblieben?
Ja, etwas ganz Grosses: Wer hinter allem steckt.
Vor fünf Jahren fingen Ihre Sehprobleme an?
Ich hatte eine Netzhautablösung und habe seither ein eingeschränktes Gesichtsfeld. Im unteren Bereich sehe ich nichts mehr. Das war eine einschneidende Umstellung. Es folgte weiteres Ungemach. Die Ärztin sagte mir, ich würde sehr bald den Grauen Star haben. Ich bekam ein Makulaloch, bemerkte es aber nicht, weil ich wegen des Stars immer schlechter sah. Die Netzhaut wurde durch das Strecken bei der Operation noch dünner und riss später in der Mitte. Das liess ich vor drei Jahren operieren. Seither habe ich zentral auf der Makula Narben. Das heisst, ich sehe links nur Wellenlinien. Das ist für das Gehirn enorm anstrengend. Ich muss immer die verzerrten Bilder zusammenbringen, und Buchstaben sind natürlich das Allerschwierigste.
Ein Buch zu lesen, ist das noch möglich?
Ich habe seit drei Jahren kein Buch mehr gelesen und auf Hörbücher umgestellt. Ich brauche meine Augenenergie, um am Bildschirm schreiben zu können. Das geht zwei, drei Stunden pro Tag. Ich beherrsche das Zehnfingersystem, da schaue ich gar nicht hin. Es ist das Korrigieren, das länger dauert. Ich bekomme Kopfweh, und die Augen ermüden schnell.
Bleibt die Beeinträchtigung so, wie sind die Prognosen?
Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass es auf dem anderen Auge zu einer Ablösung der Netzhaut kommt.
Wie konnten Sie das verarbeiten?
Es war schwierig, weil ich im Spital auch noch Corona aufgelesen hatte und lange nicht wusste, was los war. Mein Augenarzt konnte sich nicht erklären, warum sich das Auge nicht erholte. Nach der Netzhautoperation erholte ich mich schnell. Nach der zweiten Operation wurde es schwierig – wegen Corona. Das Sehzentrum war eine grosse Hilfe. Ich bekam eine Brille mit abgedunkelten Gläsern, was mir das Sehen erleichtert. Jetzt überlege ich immer: Was ist das Wichtigste, was will ich machen? Welches Buch will ich unbedingt schreiben? Wir werden alle älter – der Körper ist vergänglich, jeder hat seine Schwachstellen. Meine sind die Augen. Mein Mann hört nicht gut. Es ist lustig, ich gebärde mit ihm, er redet mit mir, weil ich seine Hände zu wenig sehe. Ja, wir sind ein lustiges Paar.
Hat Ihre Beeinträchtigung einen Einfluss auf Ihr Schreiben, auf den Inhalt Ihrer Texte?
Ich glaube, auf den Inhalt nicht. Ich höre nur noch Hörbücher, das macht viel aus. Ich habe gemerkt, wie schwierig es ist, wenn es viele Figuren gibt und man nicht zurückblättern kann. Das hat mich beeinflusst. Bei »KRYO« habe ich das ein wenig ausser Acht gelassen, weil ich mir gedacht habe, jetzt gebe ich noch einmal Vollgas.
Was bedeutet es Ihnen, dass Ihre Bücher auch für Blinde und Sehbehinderte zugänglich gemacht werden?
Ich finde es extrem wichtig, dass alle Menschen Zugang zu Büchern haben. Und ich merke, ich hätte zu vielen Büchern keinen Zugang, wenn es die SBS nicht gäbe. Viele Hörbücher sind nicht mehr erhältlich oder nur bei der SBS als Hörbuch herausgekommen. Gerade Schweizer Bücher gibt es oft nicht als Hörbuch. Da bin ich extrem dankbar, dass ich sie dank der SBS hören kann. Ich finde es schön, dass die SBS auch für Menschen mit Lesebehinderungen offener geworden ist. Ich denke, es gibt viele Leute, die gar nicht wissen, dass die SBS ihnen helfen könnte.
Sie engagieren sich auch im Patronatskomitee der SBS. Wie sind Sie dazu gekommen?
Es geht um Bücher. Als Kind war ich in Bibliotheken zuhause. Das war für mich Reichtum. Für mich ging wirklich eine Welt auf, wenn ich eine Bibliothek betrat. Ich finde, Geschichten fördern das Mitgefühl bei Menschen, und das auf eine Art, wie es ein Film selten kann. Da man die Sicht einer Figur einnimmt, sich über lange Zeit in einen anderen Menschen hineinlebt, lernt man durch dessen Augen zu schauen, durch andere Ohren zu hören. Das fördert das Mitgefühl, das Verständnis und die Toleranz. Daher finde ich Bücher so wichtig, und damit auch die SBS.
Ist es für Sie generell wichtig, sich zu engagieren?
Ja, ich bin Teil dieser Gesellschaft. Ich habe sehr viel bekommen, ich will auch etwas zurückgeben. Es ist ein Geben und Nehmen.
Herzlichen Dank.
Martin Orgler
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